Clever konsumieren

In unserer heutigen Produktwelt wird das Einschätzen von Qualität immer schwerer. Erst wenn wir etwas über ein Produkt wissen, können wir seinen Wert beurteilen und entscheiden, ob es uns den Preis wert ist. Die zentrale Frage ist:
Woran erkenne ich Qualität? Katharina Starlay gibt in Ihrem Buch „Clever konsumieren – Wertvolles Wissen für eine bewusste Auswahl“ wertvolle Tipps zum Einkauf von Kleingütern und Gebrauchsartikeln.

Krawatten, Tücher und textile Accessoires

Ist die Krawatte auf dem Rückzug?

Mit zunehmender „Casualisierung“, also zunehmend lässig werdender Kleidung in Freizeit und vielen beruflichen Branchen (oder auch bei Einladungen, in denen um „business casual“-Kleidung gebeten wird) fällt nach der Tuchhose (Stoffhose), die zugunsten der Jeans zum Sakko gewichen ist, bald auch diese Bastion der Formalität.
Wir kommen aber weltweit an den Punkt, wo zahlende Kunden immer mehr in Freizeitkleidung – und das Service-Personal in sogenannter Businesskleidung mit Weste, Tuch und Krawatte anzutreffen ist – wie zum Beispiel in Gastronomie, Hotellerie und Touristik.
Damit wird die Krawatte entgegen ihrer früheren Intention immer mehr zum Symbol für Dienstleistung, sogar bei einem einschlägigen Lebensmittelhändler, der die nach Bäcker oder Fleischer anmutenden Kittel seines Personals skurril mit Krawatten bei den Herren und Nikitüchern bei den Damen kombinieren lässt.
Der Vergleich mag vielleicht überraschen, aber neu ist es nicht, dass sich ein Erkennungsmerkmal der arbeitenden Bevölkerung – in diesem Fall die bewegungsfreundliche Kleidung der Weltreisenden in Jeans und Jogginghosen – zum Nobelsignal mausert: Als in den Roaring Twenties Tennis und Bewegung an frischer Luft generell modern wurden, machte auch die Hautbräune, die bis dahin symptomatisch für Arbeit auf dem Feld war, Karriere als Zeichen des Privi legs derer, die sich Freizeit leisten konnte.
Die Kultur der jetzigen Dekade ist bis jetzt noch weitgehend dem Binder verschrieben, wo auch immer Mann seriös und glaubwürdig auftreten will. Das kleinflächige Accessoire war bisher eines der wenigen farblichen und stilis-tischen Spielwiesen für den individuellen Ausdruck eines Mannes im Business. Fehlt es, kann und sollte ein Mann mehr Sinn für modische Anzugstoffe in neuen Strukturen, interessante Details und die Kunst der Kombination in der Herrenmode entwickeln, sonst wird sein Look langweilig. Die Liebe zum Schlips kann aber keine Erklärung für die Einfallslosigkeit sein, mit der manche Firmen die Firmenfarbe in Krawattenform um den Hals ihrer Verkaufsteams winden – und das mit Firmenimage verwechseln. Corporate Image lässt sich gekonnter umsetzen, etwa als wiederkeh-rendes, unabnehmbares Detail an individuellen (und bitte gut sitzenden!) Anzügen und Kostümen, also als quasi „nicht-uniformierte“ Uniform.
Um Qualität und Preis bei Fliegen, Krawatten und Tüchern einschätzen zu können, sollten Sie einen kurzen Gedanken an den Stoff verwenden: Die meist mehrfarbigen und irgendwie gemusterten „Hingucker“ erhalten ihr Dessin entweder durch Druck, der nachträglich auf eine fertig gewebte Stofffläche aufgetragen wird, oder durch ein gewebtes, nach den dafür nötigen Maschinen benanntes Jacquard-Muster. In der Regel sind Drucke in der Herstellung billiger. Als Materialien kommen hier meist gängige Polyestergewebe, Viscose oder die teurere Seide infrage. Krawatten werden im 45-Grad Winkel zur Kette – der im Webstuhl längs verlaufenden Garnbespannung – zugeschnitten, was den Stoffverbrauch automatisch höher macht, als wenn man rechteckige oder quadratische Schals und Tücher zuschnei-det, wo es kaum „Verschnitt“ gibt.
Außerdem ist gerade bei Damentüchern und Herren-Einstecktüchern die Saumverarbeitung interessant: Was so perfekt und gleichmäßig aussieht, sind Maschinensäume, an die sich unser Auge zwar gewöhnt hat – viel charmanter dagegen (und auch hochwertiger) sind handgerollte und von Hand umgenähte Säume, die ein ungleichmäßigeres Warenbild ergeben und sich von der Sterilität rein maschinell gefertigter Industrieware abheben. Auffällig ist, dass gerade diese schlichten, kleinen Accessoires – oft aus Polyester, maschinengesäumt und aus günstigem Stoff – in der Relation zum Produktwert erstaunliche Preise erzielen, weil sie insgesamt keine hohe Ausgabe darstellen, die Mann scheuen würde. Wer es ganz individuell liebt, wird seine Einstecktücher beim Maßschneider gleich mitsäumen lassen – zum Beispiel aus einem edlen, harmonierenden Futterstoff – oder sich in einen Stoffladen begeben, um Stoffe für schicke Unikate vom Lieblings-Änderungsschneider säumen zu lassen. Das kostet so viel oder so wenig wie Serienware, ist aber unendlich stilvoller.

Zurück zur Krawatte. Ist sie nun tot?

Wie jede Bewegunghat auch die zunehmende Lässigkeit eine Gegenbewegung. Gerade junge, männliche Verbraucher wenden sich wieder vermehrt dem gehobenen Kleiderstil zu und kultivieren den Gentleman-Status, der auch die manchmal kauzig wirkende Fliege wiederbelebt. Dabei verlangt der gestiegene Anspruch mehr Details der Ausführung wie zum Beispiel eine höhere Individualität und auch verschiedene Längenmaße – damit auch ein hochgewachsener Gentleman noch einen vollen Knoten binden kann. Und auch manche Frau hat die Krawatte bereits als augenzwinkerndes Accessoire für ihren Businesslook entdeckt. So wird die Krawatte weiterhin leben.
Erwartungshaltung an textile Accessoires

  1. modische Farben, Stoffe und Dessins
  2. schöner Oberflächenglanz und angenehmer Griff
  3. leicht zu binden/falten/knoten
  4. eine hochwertige Warenoptik
  5. mitgelieferte Falt- und Bindetechniken

Über Qualität bei Krawatten und Tüchern habe ich gleich mit zwei Herstellern das Gespräch gesucht: ANA & ANDA als Künstlerinnen-Paar produziert Unikate und Kleinserien aus fair gehandelter Bio-Seide im eigenen atelier für nachhaltige eleganz. Da diese Accessoires aber auch in Dienst-leistungsbranchen gefragt sind und bei hohen Stückzahlen einen echten Kostenfaktor darstellen, habe ich auch Tosca Siekmann um Antworten gebeten, deren Firma Alta Seta Groß- und Kleinserien für Corporate Wear je nach Kundenwunsch und Budget in Italien und Asien fertigen lässt.
ANA & ANDA, welche Verarbeitungskriterien gelten für die Herstellung von textilen Accessoires, woran erkenne ich also eine saubere Verarbeitung? A.&A.: Für Krawatten, Fliegen und Einstecktücher gilt aus unserer Sicht: Seide ist die allererste Wahl! Kunstfasern wie Polyester, Acetat und Ähnliches weisen schon per se auf mindere Qualität hin.
Die Qualität der verarbeiteten Seide ist beim Kauf von Seidenaccessoires relativ schwer zu erkennen. Konventionelle Seide ist stark mit Chemikalien belastet, was sich aber erst mit der Zeit zeigt, wenn die Seide brüchig und stumpf wird. Finger weg von Accessoires, die mit Attributen wie „knitterfrei“, „bügelleicht“ oder „fleckabweisend“ angepriesen werden: Solche Eigenschaften lassen sich nur durch eine Behandlung mit Chemikalien erreichen, die der Seide schaden, aber auch für unsere Haut nicht immer gut sind.
Accessoires aus Seide sollten sich immer weich und geschmeidig anfühlen. Sie sollten entweder uni sein oder eingewebte Muster haben, da aufgedruckte Muster wieder nur nach chemischer Behandlung des Stoffs aufgebracht werden können. Aber auch bei unifarbenen Accessoires sollten ungiftige, gesundheitlich unbedenkliche und hochwertige Farben verwendet werden. Leider kann dies beim Kauf kaum festgestellt werden – außer, die Hersteller/innen informieren über die verwendeten Farben.
Was sind spezielle Verarbeitungskriterien bei individuellen Krawatten? A.&A.:Eine gute Krawatte muss handgenäht sein. Sicht-bar wird dies an der Naht auf der Rückseite. Beim leichten Anheben der Naht sind die handgenähten Stiche zu sehen. Sie sitzen locker und lassen der Naht Spiel, damit der Faden beim Knoten der Krawatte nicht reißt. Manchmal schaut auch das Fadenende auf der Rückseite der Krawat-tenspitze etwas heraus: Ein eindeutiges Qualitätsmerkmal, da bei handgenähten Krawatten der Faden nicht verknotet wird. Natürlich sollte die Krawatte symmetrische Spitzen aufweisen und sie darf nicht vorgebunden sein. Krawatten sind innen mit einem Futterstoff verstärkt, der aber nicht deklariert werden muss. Es kann deshalb als besonderes Qualitätsmerkmal bezeichnet werden, wenn das Material dieser „Einlage“ von der herstellenden Firma genannt wird. Eine Naturfaser wie Baumwolle oder Schurwolle ist hier den Kunstfasern auch wieder vorzuziehen.
Die Krawatte sollte senkrecht hängen und sich dabei nicht verdrehen. Sie sollte sich weich anfühlen und nicht wie ein Brett. Und wer besonders klein oder groß ist, sollte extra kurze bzw. lange Krawatten kaufen, denn die Qualität einer guten Krawatte kommt nur zur Geltung, wenn sie auch richtig sitzt und schön geknotet ist.
Gibt es spezielle Verarbeitungskriterien von Fliegen? A.&A.: Auch bei Fliegen ist Seide erste Wahl. Wer auf Qualität Wert legt, greift auf keinen Fall zu den festgenäht vorgebundenen Fliegen: In der Branche werden sie gern etwas despektierlich „Zementpropeller“ genannt. Als qualitativ hochwertig gelten deshalb die einteiligen Fliegen, auch „Einteiler“ genannt, die für jedes Tragen neu um den Hals gebunden werden. Es gibt aber auch zweiteilige Fliegen zum Selberbinden. Sie müssen nur ab und zu neu gebunden werden, was auch nicht direkt am Hals geschehen muss, und sie können in der Größe verstellt werden. Einteiler hingegen werden passend zur Hemdkragenweite hergestellt. Die Qualität einer guten Fliege zeigt sich vor allem darin, dass sie viel weicher und geschmeidiger ist als die üblichen festgenähten Fliegen. Auch beim Tragen darf sie durchaus „Nachgiebigkeit“ zeigen und sich damit vom „Zementpropeller“ abheben.
Hochwertige Einteiler kommen ohne Haken und Ösen aus und sind in der Größe nicht verstellbar. Zweiteilige Fliegen haben ein Verstellsystem, das bei hochwertigen Exemplaren aus Metall und nicht aus Plastik sein sollte. Im Idealfall sind Haken und Ösen nickelfrei. Naturgemäß besteht das Band bei guten zweiteiligen Fliegen ebenfalls aus Seide und ist nicht als Einzelteil angenäht. Deshalb sollte auch das Verschlusssystem keinen Anker mit gelochtem Band aufweisen –  die Seide würde dadurch schnell kaputt gehen. Haken und sogenannte „Schieber“ hingegen werden in das Band eingefädelt und fügen der Seide so keinen Schaden zu.
Gibt es auch spezielle Verarbeitungskriterien von Seidentüchern und Einstecktüchern? A.&A.: Qualitativ hochwertige Seidentücher und Einstecktücher sind handrolliert und nicht an der Maschine gesäumt. Während ein Einstecktuch aus Seidensatin hergestellt werden sollte, können sonstige Seidentücher auch aus leichteren Seidenarten wie Habotai oder Ponge gefertigt sein. Neben den unifarbenen oder mit eingewebten Mustern versehenen Tüchern gibt es auch mit dem Pinsel bemalte Kunstwerke. Auch hier ist es wichtig, dass licht- und waschechte, aber
auch ungiftige Farben verwendet werden.
Die Waschbarkeit ist ein gutes Merkmal, an dem sich Qualität bei Tüchern feststellen lässt. Hochwertige Seide lässt sich durchaus gut waschen, allerdings immer nur mit speziellen Seidenwaschmitteln, da sie von normalen Wasch-mitteltensiden Schaden nimmt. Wenn die Farbe nicht mit viel Chemie in den Stoff gebracht wurde, kann sie beim Waschen leicht abfärben, wäscht sich aber keinesfalls aus. Steht auf dem Etikett, dass das Tuch nicht gewaschen und nur chemisch gereinigt werden darf, stimmt mit der Qualität definitiv etwas nicht.
Welche Rolle spielt der Stoff für den Preis? A.&A.: Seide wird auf dem Weltmarkt nach Gewicht bezahlt. Deshalb wird konventionell gewonnene Seide mit giftigen Chemikalien „erschwert“, also schwerer gemacht, um für die gleiche Menge mehr Geld zu bekommen. Die Qualität der Seide leidet darunter erheblich. Auf dem Markt existieren Seidenstoffe, die mehr Gewichtsanteile an Chemikalien als an Seidenfasern aufweisen!
Bio-Seide hingegen kommt unbehandelt auf den Markt. Schon der Anbau der Maulbeerbäume, die das Futter für die Seidenspinnerraupen liefern, muss nach ökologischen Kriterien erfolgen. Die Herstellung von Bio-Seide ist viel aufwändiger und weniger ertragreich als diejenige von konventioneller Seide. Dazu kommt, dass Bio-Seide viel schwieriger zu verarbeiten ist. Da sie unbehandelt bleibt, ist sie viel weicher und weniger gut in Form zu bringen und zu nähen. Das alles hat seinen Einfluss auf den Preis von Seidenaccessoires.
Grundsätzlich sind aber Seidenaccessoires, vor allem Krawatten, immer aufwendig in der Herstellung. Wird die Arbeit von Näherinnen und Schneiderinnen gut bezahlt, kann eine Krawatte auch nicht für 4,99 Euro über den Ladentisch gehen.
Frau Siekmann, welche Rolle spielt der Stoff für den Preis?
T. S.: Gerade in der Serienherstellung ist ein Accessoire aus Seide oder Viscose immer teurer als ein gleiches aus Polyester oder Acryl. Mischgewebe liegen preislich dazwischen, wobei eine Mischung aus Seide und Cashmere wieder viel teurer wird. Alle Arbeitsgänge sind bei der Erstellung einer Krawatte identisch, hier sind lediglich die Garne entscheidend, die den Endpreis beeinflussen.
Und die Entscheidung „Seide oder Poly“ im Corporate Einsatz? Was bedeutet der Stoff für den Träger?
T. S.: Das liegt klar auf der Hand. Bei Berufsbekleidung, die täglich strapaziert wird, empfehle ich die robustere Polyester-Ausführung. Bei einem Messeauftritt oder für den Außendienst oder als Werbeträger bei einer Produktneuein-führung empfehle ich Seidenstoffe. Seide hat Ausstrahlung, natürlichen Glanz und eine wunderbare Haptik.
Welche Stückzahlen sind mindestens nötig, damit die produzierenden Betriebe in den Ländern rentabel arbeiten?
T. S.: Unsere Mindestauflagen bei gewebten Krawatten mit eigenem Dessin liegt bei 100 Krawatten. Diese Menge kann mit einem kleinen preislichen Aufschlag sogar in zwei ver-schiedene Farben geteilt werden.
Vorgebunden oder nicht, zum Beispiel bei Fliegen? Was raten Sie dem Firmenkunden?
T. S.: Eine Schleife (Fliege) sollte für Corporate Fashion auf alle Fälle vorgebunden sein, denn dieses Accessoires selbst zu binden erfordert sehr viel Übung und sieht nicht gut aus, wenn sie nicht korrekt sitzt. Natürlich hat eine selbst gebundene Schleife absolut mehr Stil. Der Träger beschäftigt sich im Moment des Bindens der Schleife mit dem bevorstehenden besonderen Ereignis und bindet positive Gedanken mit ein.
Fertig gebundene Schleifen gibt es in stumpfer und spitzer Form. Es gibt keine Vorgabe, wann Mann welche Schleife tragen sollte – ob feierlicher, privater oder öffentlicher Anlass: Beide Formen sind gleichermaßen beliebt. Bei der stumpfen Form sind alle vier Flügel der Schleife stumpf, also ohne Spitze, bei der spitzen ist einer der zwei vorderen Flügel stumpf, der andere spitz. Der Flügel darunter ist konträr zu dem darüber liegenden genäht, es liegt also spitz auf stumpf und stumpf auf spitz auf.
Krawatten sollten in jedem Fall selbst gebunden werden. Lediglich die Berufssparten Security (Sicherheitsdienst-leister), Bus- und Taxifahrer, Zugbegleiter, Polizisten und Beamte im Strafvollzug müssen aus Sicherheitsgründen eine vorgefertigte, gebundene Krawatte tragen, deren Ver-schluss sich löst, wenn man angegriffen wird. Wir unter-scheiden hier zwischen Krawatten mit Gummizug oder Clip-Krawatten. Beide Arten verhindern, dass der Träger gewürgt wird.
Beim Binden sollten die Herren unbedingt darauf achten, dass sie in aufrechter Haltung in den Spiegel schauen und kontrollieren, ob die Krawattenspitze am Hosenbund endet. Die Krawatte darf weder darüber noch darunter enden.
Dies war ein Auszug aus dem Buch von Katharina Starlay: , Frankfurter Allgemeine Buch, 2014.

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