Stets am richtigen Platz: So begleiten Sie andere Menschen am besten

Wie geleiten Sie eine Dame durch ein Restaurant? Dürfen oder müssen Sie als Dame einem Herrn aus dem Mantel helfen? Und wer geht zuerst die Treppe hinauf? Wer sich Fragen zur Kunst des Begleitens erst dann stellt, wenn sein Handeln gefragt ist, wirkt unsicher und erzeugt Peinlichkeiten. Dieser Beitrag aus zeigt Lösungen für Fälle aus der Praxis – für Ihre Praxis.

Etikette-Mythen auf dem Prüfstand

So begleiten Sie andere Menschen auf zeitgemäße Weise

Einmal geht der Bundespräsident links von einem anderen Staatsoberhaupt, einmal geht er rechts; einmal hat er bei einem Staatsbesuch den Vortritt, einmal nicht: Ist Ihnen das schon aufgefallen? Bei Bällen werden die Präsente für die Damen auf der rechten Seite des Saaleingangs verteilt, die für die Herren auf der linken Seite. Könnte das Absicht sein? Bei einer katholischen Trauung steht die Braut links vom Bräutigam am Altar, sie verlässt die Kirche jedoch rechts von ihm. Haben Sie sich auch schon gefragt, ob dies mit Absicht geschieht? In der Tat: Bei offiziellen Anlässen bleibt es nicht dem Zufall überlassen, wer wo geht. Und Sie vermuten mit Recht: Es gibt gute Gründe für die jeweilige Platzverteilung.

Personen begleiten: 4 gängige Behauptungen

Möglicherweise haben Sie einige Grundregeln gehört. Die bekanntesten finden Sie hier. Erscheinen sie Ihnen schlüssig?

Gängige Behauptungen unter der Lupe

Behauptung 1: „Die Dame geht an der rechten Seite des Herrn.“

Richtig ist, dass Damen sehr häufig an der rechten Seite eines Herrn gehen. Falsch ist, diese Rechts-links-Anordnung absolut zu setzen. Beispielsweise lässt ein Kavalier eine Dame auf dem Bürgersteig niemals an der Straßenseite gehen. Böse Zungen behaupten, das sei der Fall, damit die Dame stets freien Blick auf die Schaufensterauslagen von Schuhgeschäften habe. Falsch ist auch, diese Konstellation auf das Zwischenspiel von Damen und Herren zu beschränken: Sie wären als Mutter nicht auf die Idee gekommen, Ihren kleinen Sohn an der Straßenseite gehen zu lassen, oder? Als umsichtiger Mensch tragen Sie generell Sorge, dass die in Ihrer Obhut befindlichen Personen vor Gefahren, z. B. des Straßenverkehrs, geschützt sind. Lassen Sie Ihre Schutzbefohlenen auf Nummer sicher gehen.

Anmerkung aus : Die rechte Seite

Ob im offiziellen Protokoll oder im Alltag: Die Angaben zu rechts und links beziehen sich stets auf die Blickrichtung der handelnden Personen.

Behauptung 2: „Der Grund dafür, dass eine Dame rechts vom Herrn geht, stammt aus dem Mittelalter: Da trug der Ritter sein Schwert links; wäre die Dame links gegangen, hätte das Schwert sie beim Gehen behindert.“

Sie wissen, dass Behauptung 1 in ihrer Ausschließlichkeit nicht korrekt ist. Was kann dann an Behauptung 2 richtig sein? Ein Ritter zog tatsächlich sein Schwert mit seiner starken rechten Hand, und das konnte er nur tun, wenn dessen Scheide an der linken Seite seiner Rüstung angebracht war. Richtig ist auch: Ein Rechtshänder kann seiner Begleitung mit seiner rechten – starken – Hand leichter Schutz und Hilfe bieten als mit seiner linken Hand. Er kann mit rechts einen Schirm über sie halten, er kann sie mit rechts vor dem Stolpern bewahren usw. Er kann ihr so die Ehre seines Geleits leichter erweisen, wenn sie an seiner rechten Seite geht: „Links schützt rechts, links ehrt rechts.“ Braucht die Dame/der Gast/das Kind allerdings Schutz von der anderen Seite? Siehe 1! Falsch ist auf jeden Fall, einen direkten Kausalzusammenhang zwischen der Ausrichtung einer Dame und dem Platz eines Schwerts herzustellen.

Insider-Tipp: Sind Sie Linkshänder/in?

Ist Ihr rechter Arm stark genug? Wenden Sie die übliche Links-schützt-rechts-Praxis an, auch wenn Sie umdenken müssen.

Ist Ihre rechte Seite eher schwach? Verlangen Sie nicht, dass Ihre Umwelt sich nach Ihnen ausrichtet. Tauschen Sie sich mit Ihrer Begleitung über die für beide beste Konstellation aus.

Behauptung 3: „Ein Herr gewährt einer Dame den Vortritt.”

Richtig ist, dass einer wichtigen Person der freie Blick gewährt werden soll. Einer anderen Person unmittelbar auf den Rücken schauen zu müssen ist nicht sehr ansprechend. Sie haben das wahrscheinlich erlebt, wenn sich im Theater ein Zuschauer mit dem Rücken zu Ihnen durch die Reihe schob. Sie haben vielleicht auch schon in Filmen gesehen, dass Untertanen eines Feudalherrschers diesem niemals den Rücken zuwenden und sich deshalb rückwärts von ihm entfernen müssen. Und Sie haben möglicherweise beobachtet, welche Freude es einem Kind macht, auf seinem Dreirad vor den Eltern durch eine Wiese zu fahren und mit unverstelltem Blick die Welt zu erkunden. Falsch ist jedoch, diese Reihenfolge zu verallgemeinern. Was nützt dem Gast/der Dame/dem Kind der freie Blick, wenn nicht klar ist, „wo es langgeht”? Sichern Sie also schwer überschaubare Räume, Hallen oder Gelände, bevor Ihre Begleitung ihren Fuß dort hineinsetzt. Würde eine Mutter ihrem Kind beim Überqueren einer Kreuzung freie Fahrt gewähren? Sicher nicht! Lassen Sie Ihren Schutzbefohlenen beim Durchqueren und Betreten von übersichtlichen Räumlichkeiten – wie Aufzug oder Besprechungszimmer – den Vortritt. Gehen Sie auf jedem anderen Terrain zur Sicherheit voran.

Behauptung 4: „Anstand heißt Abstand.”

Diese Behauptung ist richtig – wobei sich die Distanzbedürfnisse innerhalb der Kulturen unterscheiden. Einen Italiener stört es nicht, wenn ein Kollege, der ihm den Vortritt gewährt, ihn dabei an der Schulter berührt. Für einen Japaner wäre das ein grober Fauxpas. Arabische Männer flanieren in der Öffentlichkeit freundschaftlich Hand in Hand, würden aber davor zurückschrecken, dort eine Frau zu berühren.

Die in Mitteleuropa üblichen Distanzzonen

In Mitteleuropa gelten diese Distanzzonen als angemessen:

  • Die intime Distanz – unter einem halben Meter – ist eng vertrauten Personen vorbehalten und hat im Geschäftsleben nichts zu suchen. 
  • Die persönliche Distanz beträgt 50 bis 100 cm. Sie ist beim Begleiten angemessen. Müssen Sie z. B. beim Passieren einer Aufzugtür das Distanzgebot verletzen? Gehen Sie, sobald es möglich ist, umgehend wieder auf Abstand.
  • Aus der gesellschaftlichen Distanz von 1 bis 3 Metern können Sie einschätzen, ob Kontakt überhaupt möglich wird, z. B., wenn Sie Ihren Vorgesetzten im Theater treffen.
  • Handeln Sie wiederum aus der öffentlichen Distanz heraus, wenn mehrere Menschen freien Blick auf Sie haben sollen. Das ist beispielsweise der Fall, wenn Sie eine Gruppe Besucher empfangen: Schon aus über 3 Metern Entfernung werden Sie gesehen, schon von dort aus sollten Sie Ihren Gästen mit einem strahlenden Lächeln Ihre Freude über den Besuch vermitteln.

Diese Angaben stellen jedoch nur Durchschnittswerte dar. Die Suche nach Nähe und das Bedürfnis nach Distanz können von Mensch zu Mensch stark differieren. Anstand und Abstand: Das bedeutet nicht für jeden dasselbe. Haben auch Sie schon erlebt, wie Ihnen jemand bei einem Empfang oder einem Spaziergang oder im Aufzug „auf die Pelle” rückte – und das spürbar ohne unlautere Absichten? Und Sie wagten nicht, ihn mit Worten davon abzuhalten? Haben Sie dann versucht, dieser Person auszuweichen, und festgestellt, dass sie nachrückte? Und standen Sie schließlich – im doppelten Sinn der Redewendung – „mit dem Rücken zur Wand”? Und die Person registrierte Ihr Missbehagen nicht einmal, weil die geringe Distanz für sie selbst ausgesprochen komfortabel war? Abstand halten ohne auszuweichen: So geht’s In Seminaren wird Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die in eine solche Zwickmühle geraten, zu einer eindeutigen Strategie geraten:

  1. Weichen Sie der sich nähernden Person nicht aus, halten Sie stand. 
  2. Wird dann das Beieinander dem Gegenüber selbst zu dicht, zieht es sich von selbst zurück: Sie haben die Distanz, die Sie brauchen, ohne irgendetwas zu tun.
  3. Ist das nicht der Fall? Schaffen Sie eine Gelegenheit, um sich mit einer schnellen Bewegung aus der Konstellation herauszudrehen: Schlagen Sie vor, ans Büffet zu gehen. Öffnen Sie Ihre Handtasche. Zücken Sie Ihren Terminkalender. Was Sie auch tun: Der Bann ist gebrochen, Sie haben Ihren Freiraum zurückerobert. Da die neue Platzverteilung inhaltlich bedingt ist, verliert die „Klette” nicht ihr Gesicht.
  4. Seien Sie stolz auf sich, weil Sie geschickt für Ihr Wohlbefinden und dadurch für Ihre Handlungsfähigkeit gesorgt haben.
  5. Vermeiden Sie künftig, sich frontal zu einer Person zu positionieren. Wenden Sie sich ihr besser – ungefähr – in einem 90-Grad-Winkel zu. Dann kann niemand Sie in die Enge treiben, weil Sie flexibel mit Nähe und Distanz spielen.

Einfach gut begleitet: 8 kniffelige Praxisfälle

Praxisfall 1 – alter Herr und junge Dame: links schützt rechts

Die Situation: Sie sind eine junge Frau, Anfang 20, und gehen mit Ihrem Großvater, der sich von einer Hüftoperation erholt, im Park der Rehaklinik spazieren. Wer geht wo?

Die Lösung: Sie erinnern sich: Die Begleitperson geht zur Linken der zu beschützenden Person, damit sie diese mit ihrer starken Hand stützen und schützen und im Fall eines Sturzes sogar zupacken kann. Daher gehen Sie links von Ihrem Großvater. Selbst wenn das für einen Kavalier der alten Schule ungewohnt ist, wird er – erst recht wenn er sich (mit rechts!) auf einen Stock oder eine Krücke stützt – diese für ihn komfortable Positionierung akzeptieren. Wichtig: Lassen Sie Ihren Mitmenschen und sich selbst Zeit, um sich aufeinander einzustellen. Beobachten Sie, wie sie sich im Raum orientieren. Stellen Sie gegebenenfalls eine Alternative vor: „Ist es dir lieber, wenn ich links oder rechts von dir gehe? Links ehrt rechts: So erkennen Sie Gastgeber und Gast auf einen Blick. Bei einem Staatsbesuch ist derlei Freiheit nicht gegeben: Da weiß jede und jeder, wohin sie und er gehört. So geht der Gast rechts vom Gastgeber, sozusagen an dessen „besserer”, weil starker Seite. Kein Wunder, dass Sie unseren Bundespräsidenten als Gastgeber bei offiziellen Anlässen in Schloss Bellevue in Berlin links von Herrn Sarkozy, dem französischen Staatspräsidenten, gehen sehen. Durch den Park des Elysée-Palastes in Paris hingegen geht er – als Gast – an Sarkozys rechter Seite. In der deutschen Botschaft in Paris wiederum wäre M. le Président Gast von Christian Wulff und würde an seiner Rechten durch den Saal schreiten. Genug zum Protokoll! Sie sind hinreichend sensibilisiert für die gar nicht so geheimen Codes von rechts und links, nicht wahr? Warum aber steht der Bräutigam rechts am Altar? Warum die Damenpräsente rechts am Saaleingang verteilt werden, ist inzwischen offensichtlich. Auch warum die Braut an der rechten Seite des Bräutigams ins Leben schreitet, liegt auf der – rechten – Hand (des Herrn). Eine Frage bleibt ungeklärt: Warum steht die Braut – zumindest in der katholischen Kirche – links vom Bräutigam am Altar? Dafür gibt es 2 Gründe:

  1. den traditionellen: Nach alter Sitte wird die Braut von ihrem Vater an den Altar geleitet und dort ihrem Bräutigam übergeben. Der Vater (Herr) geht links von seiner Tochter (Dame), also dockt sich der Bräutigam rechts an. 
  2. den religiösen: Ebenfalls nach alter Sitte sitzen die Männer in katholischen Kirchen in der rechten Hälfte des Kirchenschiffs. Warum? Christliche Kirchen sind in Europa auf das Heilige Land, nach Osten, ausgerichtet. Da ist die nach Süden gelegene rechte Seite die wärmere, also die bessere.

Nun, wem gebührt aus alter Sicht die bessere Seite? Natürlich den Männern. Beide Gründe sind heute nicht mehr zeitgemäß. Wie gut, dass sie in Vergessenheit geraten sind! 

Beispiel aus : Royals & Co

Und warum verlässt dann ein Kronprinz rechts von seiner Braut den Traualtar? Natürlich weil er als Thronfolger bedeutender ist als seine in die königliche Familie einheiratende Braut: Links ehrt rechts! Was für Leser/innen der Boulevard-Presse und für alle, die sich für protokollarische Regeln erwärmen können oder müssen, von Interesse ist.

Praxisfall 2 – Ehepaar im Doppelpack: Auf keinen Fall trennen!

Die Situation: Sie begleiten als Hostess einen Referenten und seine Ehefrau zu ihren Plätzen im Vortragssaal. Der Referent steht links von seiner Frau. Die Gänge sind breit genug, um nebeneinander zu gehen. Wo gehen Sie?

Die Lösung: So warm es Ihnen auch ums Herz sein mag, wenn Sie mit beiden Gästen gleich gut plaudern können: Es gilt als grober Fauxpas, sich in ein Paar hinein zu mogeln. Diese Personen bilden ein erprobtes Nähe-Distanz-System, Sie als Externe haben dort nichts verloren – es sei denn, Sie würden explizit auf diesen Platz gelenkt. Richtig ist, 2 Grundregeln des Verhaltens in Räumen umzusetzen::

  1. Links schützt/ehrt rechts.
  2. Sich zeitgemäß verhalten

heißt, sich nicht geschlechtsspezifisch als Dame, sondern rollenkonform als Dienstleisterin zu verstehen. Entsprechend nähern Sie sich dem Paar von links. „Nah ist besser als fern“: Auch das ist richtig In Seminaren höre ich bei dieser Empfehlung hin und wieder den Einwand: „Aber dann ist doch die Dame vom Gespräch ausgegrenzt.” Schließlich sei ein Platz in der Nähe der gastgebenden Person besser als einer fern von ihr, getreu der Regel: „Nah ist besser als fern.” Stimmt. Das heißt aber nicht, dass Sie mir nichts, dir nichts die Seite wechseln; das würde Ihre Gäste irritieren. Lassen Sie sie bitte untereinander aushandeln, wer unmittelbar an Ihrer rechten Seite in der geschützten Mitte geht. Des Menschen Wille: Sein Himmelreich Stellen Sie sich vor, Sie begleiten ein Ehepaar durch Ihren Garten. Wetten, dass der Ehefrau mit dem „grünen Daumen” keineswegs an dem Mittelplatz zwischen Ihnen und ihrem Mann gelegen ist? Sie will sich über die Glockenblumen beugen und an den Rosen schnuppern. Für sie ist der Platz an Ihrem Blumenbeet wichtiger als die Nähe zu Ihnen. Sie werden das verschmerzen, oder? Oder Sie spazieren mit Ihren beiden Patentanten nach langer Zeit wieder einmal durch den Stadtpark: Für Sie selbst wäre es sicher angenehm, links von den beiden zu flanieren. So müssten Sie nicht im Gespräch ständig den Kopf nach rechts und dann wieder nach links drehen. Beide Tanten werden kaum auf Ihre Körpernähe verzichten wollen: Nehmen Sie an jeden Arm eine – und los geht’s! Nah ist besser als fern – das ist richtig; es kommt aber auf den Orientierungspunkt an!

Praxisfall 3 – an der Garderobe: Fingerspitzengefühl gefragt

Die Situation: Sie, Versicherungsagent, empfangen in Ihrem Büro ein Ehepaar, beide sind Mitte vierzig und sportlich. Wem helfen Sie aus dem Mantel?

Die Lösung: Falsch ist es, nichts zu tun; Ihre mangelnde Aufmerksamkeit für die Bedürfnisse Ihrer Gäste, hier Kunden, könnte Sie teuer zu stehen kommen. Falsch ist ebenfalls, wenn Sie als Dienstleister Ihre Aufmerksamkeit auf den weiblichen Gast beschränken: Jeder Gast hat Ihre Fürsorge verdient, auch wenn er jung, kräftig und männlich ist. Falsch ist aber auch, bedingungslos vorauszusetzen, dass Gäste Ihre praktische Hilfe wünschen. „Ja kann ich es denn nur falsch machen?“, fragen Sie sich nun möglicherweise. Nein! Sie können … und Sie sollten … es richtig machen.

Den Mantel abnehmen in 5 Schritten
1. bedenken Es ist die Aufgabe eines Ehemannes, seiner Frau behilflich zu sein. Sie erinnern sich: Die beiden bilden ein System.
2. Rollen akzeptieren Sollte der Ehemann – ausnahmsweise einmal?! – dieser Pflicht nicht nachkommen, dürfen Sie nicht munter in die Bresche springen. Es wäre vielleicht erheiternd, auf jeden Fall aber peinlich – auch für Sie! –, wenn die Dame ihren Mann anzischte: „Siehst du, er weiß noch, was sich gehört!”
3. beobachten Geben Sie den beiden eine Chance, sich zu orientieren; geben Sie sich dabei die Chance, das Verhalten der anderen zu beobachten und daraus Ihren Auftrag abzuleiten.
4. offen anbieten Machen Sie ein Angebot, das alle möglichen Optionen offen lässt: Fragen Sie also nicht spezifisch: „Darf ich Ihnen aus dem Mantel helfen?” Fragen Sie: „Darf ich Ihnen die Mäntel abnehmen?”
5. Auftrag annehmen

Hilft der Herr seiner Frau aus dem Mantel? Nehmen Sie danach den Mantel entgegen. Hilft er ihr nicht und sie zieht ihren Mantel selbst aus?

Lassen Sie sich von ihr den Mantel reichen. Dreht sie Ihnen jedoch nickend/lächelnd die Rückseite ihrer Schultern zu? Interpretieren Sie dies als Aufforderung: Bitte helfen Sie mir! Wenn Sie jetzt zupacken, kann Ihnen auch der empfindlichste Ehemann nichts vorwerfen.

Beim Abschied fragen Sie später nicht: „Darf ich Ihnen in den Mantel helfen?” Fragen Sie lieber: „Darf ich Ihnen den Mantel/die Mäntel reichen?” Sie sehen umgehend, was Ihr Gegenüber darunter verstehen will. Den Umriss einer Handlung so vorgeben, dass das Gegenüber ihn mit seinem Handlungsbedarf füllt – Rhetorikexperten nennen dieses Vorgehen den „Malbuch-Effekt”.

Praxisfall 4 – am Aufzug: Der ranghöhere Kavalier entscheidet

Die Situation: Sie, Abteilungsleiter, stehen mit Ihrer Assistentin vor dem Aufzug. Wer geht zuerst hinein?

Die Lösung: In einem überschaubaren Raum wie dem Aufzug hat die wichtigere Person den Vortritt, und in diesem Fall sind die wichtigere Person: Sie! Es ist also falsch, wenn Ihre Assistentin – als Dame – den Vortritt beansprucht. Tut sie das? Dann nimmt sie sich vermutlich den besseren Platz auch, wenn sie den Vorstand oder einen Kunden begleitet. Beugen Sie im Interesse Ihres Unternehmens und der jungen Dame vor; machen Sie sie mit dem Dienstleistungsgedanken vertraut. Richtig ist: Im Staatsprotokoll kann die Bundeskanzlerin dem Bundespräsidenten nicht den ersten Platz streitig machen; genauso muss Ihre Assistentin die Rangfolge einhalten und Ihnen den Vortritt lassen. Das heißt wiederum nicht, dass Sie diese Vorzugsbehandlung annehmen müssen. Es ist doch reizend, wenn Sie als Vorgesetzter auf die Ausübung Ihrer Macht verzichten und der Assistentin die Ehre erweisen, den Vortritt zu bekommen. Wer verlässt den Aufzug zuerst? Sind Sie schon mit US-Amerikanern Aufzug gefahren? Dann wissen Sie, wie exakt sich diese beim Verlassen des Aufzugs sortieren. Da geht grundsätzlich die Nummer 1 voraus, selbst wenn alle übrigen Mitfahrenden beim Spalier-Stehen den Bauch einziehen müssen. In Deutschland wird die praktikable Variante bevorzugt: Wer an der Tür steht, verlässt den Lift zuerst.

Praxisfall 5 – durch die Drehtür: Jetzt nicht durchdrehen!

Die Situation: Sie gehen mit Ihrer Mutter durch eine Drehtür in ein Hotel. Ist es höflicher, vor oder hinter Ihrer Mutter zu gehen?

Die Lösung: Machen Sie aus der Drehtür keine Zwickmühle! Ritterlich ist dies: Sie gehen zuerst, Ihre Mutter kommt hinterher. Der Vorteil: Sie schieben die schwere Tür an, Ihre Mutter kann sich Ihrem Tempo anpassen. Der Nachteil: Ihre Frau Mama muss hinter Ihnen hergehen. Ritterlich ist auch das: Sie lassen Ihre Mutter vorgehen. Dann passen Sie sich an und schieben die Tür im Tempo, in dem Ihre Mutter geht. Der Vorteil: Sie hat den verdienten Vortritt. Der Nachteil: Sie muss sich gänzlich darauf verlassen, dass Sie sie nicht überrollen. Daher gelten beide Varianten als richtig.

Experten-Wissen: Veraltet: Ehrenrunde durch die Tür

Die hohe Schule der Etikette sah eine andere Lösung vor: Der Herr betrat die Drehtür zuerst und drehte selbst noch einmal eine Runde in der Tür, so dass er dem wartenden Gast/der wartenden Dame stilvollendet den Eintritt in die Drehtür und den Vortritt gewähren konnte. Diese Lösungsvariante löst insbesondere bei jüngeren Seminarteilnehmern Heiterkeit aus. Heutzutage wirkt diese Methode etwas umständlich und hält den Verkehr auf.

Praxisfall 6 – auf der Treppe: Wer hat den Vortritt, wer das Nachsehen?

Die Situation: Sie, Personalbetreuer, männlich, begleiten eine junge Bewerberin im atemberaubend kurzen Minirock durch Ihr Unternehmen. Sie kommen an eine Treppe. Rauf geht’s, doch wie?

Die Lösung: Natürlich ist es falsch, der Dame auf den verlängerten Rücken zu starren.Genauso falsch ist es, die Rocklänge zu kommentieren: „Na, wenn das so ist, gehe ich wohl lieber voraus!“ Es ist überhaupt falsch, um die Ecke zu denken und sich zu fragen, welche Absicht die Bewerberin mit ihrer Rocklänge verfolgt.Ideal ist es, wenn die Treppe so breit ist, dass Sie nebeneinander gehen können. Doch selbst da ist Umsicht gefragt: Überlassen Sie Ihren Gästen die sichere Seite: die, an der das Geländer befestigt ist und/oder bei Wendeltreppen die Seite mit der größten Stufentiefe.Ist Ihre Treppe schmal? Dann hilft die Logik:

  1. Wie gehen Menschen im Idealfall die Treppe hinunter? Als Herr/gastgebende/regieführende Person gehen Sie voraus und garantieren der Dame/dem Gast, dass sie/er im Fall eines Falles nicht ins Bodenlose stürzt, sondern von Ihnen aufgefangen wird. 
  2. Dass Menschen nach unten fallen, entspricht dem Gesetz der Schwerkraft, und dieses ist ebenso wirksam, wenn Menschen eine Treppe hinaufgehen.
  3. Daher ist heute richtig: Die Dame/der Gast geht die Treppe zuerst hinauf. Ist im oberen Stock nicht klar, wie die Reise weitergeht, übernimmt der Herr/der Gastgeber erneut die Führung.

Praxisfall 7 – die Autotür: Schlag auf, Schlag zu

Die Situation: Sie, männlich, fahren mit einer Dame vor einem Restaurant vor. Öffnen Sie ihr die Autotür oder tun Sie es nicht?

Die Lösung: Ideal ist dies: Wählen Sie ein Restaurant, vor dessen Tür ein Portier der Dame die Autotür öffnet und ihr beim Aussteigen hilft. Sie brauchen ihm dann nur noch Ihren Autoschlüssel zu überlassen, damit er Ihren Wagen parkt. Trinkgeld geben nicht vergessen! Kommen Sie nicht den Bodyguards ins Gehege Empfangen Sie hochrangige Gäste aus Politik, Wirtschaft und Medien, dürfen Sie keineswegs deren Wagentüren öffnen. Das ist Aufgabe der Bodyguards. Sicherheit geht vor Höflichkeit. Viele Damen schätzen Hilfestellung beim Aus- und Einsteigen, aber nicht alle. Richtig ist deshalb, dass Sie Ihr Vorhaben ankündigen: „Wenn Sie bitte kurz warten möchten, ich öffne Ihnen gern Ihre Tür.” Es wäre nun aber grundlegend falsch, vom Fahrerplatz aus über die Dame hinweg an die Klinke zu greifen. Aber auf diese Idee sind Sie gar nicht gekommen, oder? Steigen Sie aus; öffnen Sie die Autotür, berühren Sie die Dame beim Aussteigen höchstens am Ellenbogen. Ein gebrechlicher Herr weiß Unterstützung übrigens auch zu schätzen. Beim Einsteigen in den Wagen gehen Sie entsprechend vor:

  • Zuerst öffnen Sie die Beifahrertür.
  • Dann lassen Sie Ihre Beifahrerin/Ihren Beifahrer einsteigen.
  • Nun schließen Sie die Beifahrertür.
  • Schließlich gehen Sie an Ihren Fahrerplatz.

 

Praxisfall 8 – Dame lädt ein: Der Parcours durch das Lokal

Die Situation: Sie sind Bankberaterin und laden einen Kunden ins Restaurant ein.

Die Lösung: Sie sind es gewohnt, dass Ihr Mann

  • zuerst durch die Restauranttür geht,
  • Sie dann durchgehen lässt,
  • hinter Ihnen die Tür schließt und
  • vor Ihnen durch das Lokal geht, bis er einen Tisch gefunden hat?

Ich gratuliere! Denn Ihr Mann verhält sich umsichtig und formvollendet. Falsch ist nun aber, dieses erfolgreiche Herr-Dame-Spiel eins zu eins auf den Kundenkontakt zu übertragen. Richtig ist vielmehr: Als Gastgeberin gehen Sie vor dem Kunden durch die Tür und auf der Suche nach einem Tisch durch das Restaurant. Werden Sie hingegen an Ihren Tisch geführt, geht der Kunde hinter der Service-Kraft – sie kennt sich aus! – und vor Ihnen.

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